Autor Thema: Selbst Schuld !  (Gelesen 15442 mal)

Offline Dietrich

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Selbst Schuld !
« am: Sa.13.Feb 2010/ 10:54:53 »
Moin gents,

nach einiger Zeit wieder etwas aus der Rechtsprechungsecke, das zunächst eher die Mopedfahrer interessieren dürfte.

Zwischen einem Motorrad und einem Auto kommt es zu einem Unfall. Verursacher des Unfalls ist der Autofahrer. Der Motorradfahrer erleidet erhebliche Verletzungen insbesondere an den Beinen. Er hat keine Lederhosen an, sondern Stoffhosen (vermutlich Jeans).

Die Haftpflichtversicherung reduziert daher das Schmerzensgeld, weil, gutachterlich bestätigt, zweifelsfrei die Verletzungen an den Beinen geringer gewesen wären, hätte der Motorradfahrer Lederhosen oder andere Schutzhosen getragen.

Hiergegen hat der Motorradfahrer geklagt und vor dem Oberlandesgericht Brandenburg (Az.: 12 U 29/09) verloren. Das Gericht schloss sich der Begründung der Versicherung an.

Wie ich meine eine sicherlich umstrittene Entscheidung, die allerdings bereits von anderen Gerichten hinsichtlich des Tragens von Schutzhelmen bei verunfallten Radfahrern auch getragen wird. Wird ein Radfahrer bei einem unverschuldeten Unfall erheblich am Kopf verletzt und wäre diese Verletzung bei Tragen eines Helms in der Schwere vermeidbar gewesen, so wird meines Wissens auch hier der Radfahrer Abstriche beim Schmerzensgeld machen müssen.

Die o.g. Entscheidung in Brandenburg lässt den Schluss aber sodann auch zu, dass der Motorradfahrer bzw. seine Krankenversicherung einen Teil der Kosten für die Heilbehandlung nach dem Unfall selber zu tragen hat. Die Schwere der Verletzungen wären ja zu vermeiden gewesen, wenn er eine schützendere Hose getragen hätte.

Provokativ formuliert: Die Kosten der Heilbehandlung wären aber vor allem dann nicht entstanden, wenn der Motorradfahrer entweder Auto gefahren wäre oder gar nicht erst losgefahren wäre. Also, lieber Motorradfahrer, selbst Schuld !

Die Frage ist jetzt, in welchem Rahmen die Gerichte zukünftig Haftpflichtgründe reduzieren werden, wenn man nicht einen alten Nissan Pajero oder Land Rover fährt.

Was ist beispielsweise mit einer Radfahrerin, die an einer Kreuzung von einem rechts abbiegenden LKW erfasst und schwer verletzt wird ?
Hätte sie nicht aufgrund der stetigen Berichterstattung in der Presse über derartige Unfälle wissen können, dass rechts abbiegende LKW eine erhebliche Gefahr sind und deswegen rechtzeitig abbremsen müssen und den LKW notfalls durchfahren lassen müssen.

Oder was ist mit dem Fahrer eines XK 150, der bei einem unverschuldeten Unfall mit einem SUV erheblich verletzt wird ?
Hätte er nicht wissen müssen, dass sein Auto heutigen Sicherheitsstandards nicht mehr entspricht und er sich somit bei einem Unfall einem erheblichen Verletzungsrisiko aussetzt, selbst wenn er sich anschnallt.

Ich denke, die Büchse der Pandora ist offen.

Kind regards
Dietrich

Offline V-Mann

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Re: Selbst Schuld !
« Antwort #1 am: Sa.13.Feb 2010/ 11:05:56 »
Moin Dietrich,

ich kenne mich da zwar nicht so gut aus und weiß keine Einzelheiten, aber mal überspitzt:

Warum sollte eine Versicherung die vollen Summen zahlen, wenn ein Motorradfahrer in kurzer Hose und T-Shirt die Straße langbrettert?
Soll dann die Versicherung des Unfallverursachers mehr Heilbehandlungskosten tragen, die bei richtiger Ausrüstung nicht entstanden wären? Halt Pech für die Versicherung??

Und zu der Radfahrerin vs. LKW:

Besteht nicht ein Gebot der Rücksichtnahme und nicht auf sein Recht zu bestehen, wenn hierdurch ein Unfall vermeidbar wäre??

Nur mal so als Gedanken!

LG
Florian
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Offline Dietrich

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Re: Selbst Schuld !
« Antwort #2 am: Sa.13.Feb 2010/ 11:16:18 »
Moin Florian,

Du hast die richtigen Fragen gestellt.

Die wichtige Frage ist nur, an welcher Stelle die Mitschuld an der Schwere der Verletzungen anfängt und an welcher Stelle sie aufhört (vergl. den Fall mit dem XK 150).

Hinsichtlich der Rücksichtnahme im Straßenverkehr gilt beispielweise auch folgendes: Fahre ich mit meinem Auto gaaanz vorsichtig und langsam tastend aus meiner Ausfahrt Richtung Straße und brettert mir dann ein auf dem Bürgersteig rasender Radfahrer in den Kotflügel trage ich auf jeden Fall Mitschuld am Unfall, da es die Sorgfaltspflicht gebietet, notfalls auszusteigen und vorab nachzusehen oder sich von einer weiteren Person einweisen zu lassen. Leider finde ich hierzu nicht mehr den Rechtsprechungsnachweis (Gericht, Az.).

kind regards
Dietrich

Offline JagDriver

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Re: Selbst Schuld !
« Antwort #3 am: Sa.13.Feb 2010/ 11:30:11 »
...schon vor mehr als 20 Jahren passiert:

Mein bester Freund hält mit seinem Wagen ordnungsgemäß vor einem Zebrastreifen an weil ein Fußgänger selbigen betritt.

Die hinter dem Wagen fahrende Straßenbahn sieht das Bremsmanöver nicht und brät voll in den Wagen. Glücklicherweise ist niemandem etwas passiert.

Es kommt zur Gerichtsverhandlung.

Urteil:
Der PKW-Fahrer erhält eine Mitschuld (ich glaube zu 15 oder 20%) aus der Tatsache heraus, dass er überhaupt am Straßenverkehr teilgenommen habe. :tongue! :tongue! :tongue!

Fazit:
Der Rechtsvertreter des ÖPNV-Unternehmens war mit allen Wassern gewaschen und beschäftigte sich ausschließlich mit Unfällen von Bus- und Straßenbahnfahrern. Die Vollkaskoversicherung des PKW's hat beglichen.

Zur Büchse von Pandora. Durch meine Teilnahme am Straßenverkehr bin ich mir des, z. B. auf dem Bike, vielfach erhöhten Risikos bewusst. Wenn ich beispielsweise meinen alten JAG mit Gestängebremse bewege, muss mir völlig klar sein, dass schon ein herkömmlicher VW-Käfer weitaus besser bremst als mein Oldie. Oder das bei einem Frontalunfall das Lenkrad, aufgrund der starren Lenksäule, zu erheblichen Verletzungen am Oberkörper führen wird. Beim XK150 Fahrer gehe ich mal davon aus, dass er sich seiner Unterlegenheit im Straßenverkehr durchaus bewusst seinen sollte. Alles andere wäre vermessen. Schon ein moderner Kleinwagen ist weitaus sicherer konstruiert als ein XK150. Kleine Story am Rande. Jeden Morgen beim Schneeschieben fährt ein Radfahrer mit mindestens 30 bis 40 Km/h bergab an mir vorbei. Wohlbemerkt meist auf spiegelglatter, nicht gestreuter oder geräumter Straße. Völlig idiotisch und leichtsinnig. Wie ist denn wohl sein Verhalten im obigen Kontext zu einzuordnen? Der böse Schnee kann doch wohl nicht Schuld daran sein, sollte er sich auf die Nase legen, oder?

Zu im ersten Thread geschilderten Fall (Motorradschutzkleidung). Mir sind ähnliche Urteile schon seit Jahren bekannt. Auch wenn ich selbst viel in Jeans gefahren bin, ist mir die Fährlässigkeit dieses Handelns durchaus bewusst. Schutzkleidung trägt erwiesenermaßen erheblich dazu bei, Unfallfolgen und Verletzungen zu mindern bzw. zu vermeiden. Trage ich keine, muss ich auch u.U. für die Folgen aufkommen.

Gruß
Detlef
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Offline Rüdiger

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Re: Selbst Schuld !
« Antwort #4 am: Sa.13.Feb 2010/ 11:34:17 »
Hallo,
Fazit: Schuldlos ist nur der, der nicht geboren wurde.
Gruß Rüdiger

Offline V-Mann

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Re: Selbst Schuld !
« Antwort #5 am: Sa.13.Feb 2010/ 11:45:38 »
Fazit: Schuldlos ist nur der, der nicht geboren wurde.

Jetzt wirds aber sehr katholisch hier  :tongue!  ;)
"Beim Beschleunigen müssen die Tränen der Ergriffenheit waagerecht zum Ohr hin abfließen"
[Walter Röhrl]

Offline E-mAN

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Re: Selbst Schuld !
« Antwort #6 am: Sa.13.Feb 2010/ 12:05:04 »
Hallo,

Man kann im Leben ALLES tun oder auch lassen, wenn man bereit ist die Konsequenzen dafür zu tragen.

So einfach ist das!

Es scheint immer mehr Mode zu werden ANDERE für MEIN Handeln verantwortlich zu machen.

Gruss,
Egon :xxx
Jeder so, wie er mag.

Offline Rüdiger

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Re: Selbst Schuld !
« Antwort #7 am: Sa.13.Feb 2010/ 12:41:03 »
Hallo Florian,
war das unkeusch?
Ich bin nicht praktizierender Protestant und kenn mich da nicht so aus.
Gruß Rüdiger

Offline DH

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Re: Selbst Schuld !
« Antwort #8 am: Sa.13.Feb 2010/ 13:36:34 »
... wie in so vielen Bereichen des Lebens ist das Recht auslegbar und verhandelbar. Es wird immer neue Präzedenzfälle geben und es wird neue Urteile geben. Das liegt in der Natur der Sache: 1. Sind Richter, Staatsanwälte und Verteidiger Menschen. 2. Ändert sich unser Leben im Einzelnen aber eben auch die Gesellschaft als Ganzes - ob immer zum Besseren, weiß ich nicht - aber alles ist in Bewegung. So gab es in den 60er Jahren für eine Mutter, die Ihrer 20jährigen Tochter erlaubt hat, mit ihrem gleichaltrigen Freund zu Hause zu übernachten, 5 Jahre Gefängnis ohne Bewährung! Kein Sch...! Heute (zum Glück) nicht mehr denkbar, da sich unsere Gesellschaft verändert hat. Ein Aspekt ist m.E. der, dass heute wirklich jedeR weiß, dass die Motoradfahrt mit Jeans und Pullover u.U. mit eingebrannten Textilien und Hautverpflanzung vom Ar... enden kann! Ich fuhr selbst viele Jahre Moped - immer mit entsprechender Kleidung - da machte auch der Rutscher nix! DAS WEIß MAN EINFACH! Trotzdem sehe ich immer wieder welche, die mit 200 über die Bahn hechten und im Sommer kurze Hosen oder Turnschuhe tragen. Mal ganz ehrlich: Sagt selbst, wie das zu beurteilen ist ???????????
Gruß,
Ralf

Offline Dietrich

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Re: Selbst Schuld !
« Antwort #9 am: Sa.13.Feb 2010/ 16:23:33 »
Moin gents,

Bingo, gleich sieben statements !

Mir fallen noch ein, zwei Grundsätze zu diesem Thema ein: "Zwei Juristen, drei Meinungen" oder "Das Sein bestimmt das Bewusstsein".

Der erste ist unbestritten, der zweite nicht. Dennoch wäre die Entscheidung womöglich anders ausgefallen, hätte das Gericht aus Motorrad fahrenden Juristen bestanden.

Letztendlich gilt aber auch hier: Es kommt drauf an ! - z.B.: Bestanden nämlich Außentemperaturen von über dreißig Grad Celsius und der Motorradfahrer wäre in einer Lederrenn-Kombi glattwenig gegart worden oder waren es lediglich 15 Grad, so dass eine Lederhose zumutbar gewesen wäre ?

Aber das führt jetzt zu weit .....


kind regards
Dietrich