Aus dem Handelsblatt vom 20.06.2006:
Brüssels Feinstaub-Pläne drohen zu scheitern
EU-Kommission gerät in die Defensive
Von Helmut Hauschild, Brüssel
Die Europäische Kommission wird mit ihren Plänen für schärfere Feinstaub-Grenzwerte ab 2010 voraussichtlich scheitern. Das Europaparlament und eine Mehrheit der Mitgliedstaaten lehnen das Vorhaben von Umweltkommissar Stavros Dimas ab, zu diesem Zeitpunkt verbindliche Höchstwerte für Partikel ab einer Größe von 2,5 Mikrometern (PM 2,5) einzuführen.
Der Vorschlag der Kommission sei unrealistisch und habe deshalb keine Chance, sagte die CSU-Europaabgeordnete Anja Weisgerber. Die EU müsse Vorgaben machen, die die Mitgliedstaaten auch einhalten könnten.
Grund für den Widerstand gegen Dimas Pläne sind die Probleme, die viele Städte bereits mit der bestehenden Feinstaubrichtlinie aus dem Jahr 2005 haben. Diese sieht Grenzwerte nur für größere Partikel von zehn Mikrometern vor. Obwohl die Werte bis zu 35 Mal im Jahr überschritten werden dürfen, verstießen allein in Deutschland dieses Jahr bereits mehr als zwei Dutzend Städte gegen die Auflage der EU.
Größter Feinstaubsünder ist München, gefolgt von Frankfurt/Oder. Die betroffenen Kommunen müssen Gegenmaßnahmen wie etwa Fahrverbote verhängen, sonst drohen ihnen empfindliche Strafen aus Brüssel. Die Bundesländer fordern deshalb, die Feinstaubrichtlinie abzuschwächen anstatt sie zu verschärfen.
Das Europaparlament will die Kritik der Länder und Kommunen an der Richtlinie teilweise aufgreifen. Der Umweltausschuss will morgen einen fraktionsübergreifenden Kompromiss beschließen, der die Vorschläge von Dimas deutlich abschwächt. So sollen für kleinere Partikel ab 2,5 Mikrometer zunächst nur Zielwerte gelten. Erst ab 2015 soll ein verbindlicher Grenzwert eingeführt werden, wie Dimas es fordert. Die EU-Mitgliedstaaten würden diesen Kompromiss' unterstützen, sagte Weisgerber. Unter anderem Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) habe sich dafür eingesetzt. Auch bei den größeren Feinstaubpartikeln von zehn Mikrometern sollen die Städte teilweise länger Zeit bekommen, bis sie die Brüsseler Vorgaben einhalten müssen. Für Gebiete mit ungünstigen meteorologischen Bedingungen, etwa Stuttgart mit seiner Kessellage, könne die Frist um fünf Jahre verlängert werden, sagte Weisgerber. In besonderen Ausnahmen seien sogar zweimal fünf Jahre möglich. Die Städte müssten allerdings belegen, dass sie in dieser Zeit Maßnahmen gegen die zu hohe Feinstaubkonzentration ergreifen.
Dimas gehen diese Abstriche deutlich zu weit. Er will den Konflikt mit Parlament und Rat über eines seiner wichtigsten Gesetzesvorhaben riskieren. Das bestehende Schutzniveau dürfe nicht ausgehöhlt werden, sagte der Umweltkommissar dem Handelsblatt.
Nach Angaben der Brüsseler Behörde sterben jährlich mehr als 100 000 Menschen in der EU vorzeitig an den Folgen der hohen Feinstaubbelastung. Die Mitgliedstaaten müssten sich stärker bemühen, die Grenzwerte für Feinstaub einzuhalten anstatt großzügige Ausnahmen zu fordern, so Dimas: „Die Debatte erinnert mich an einen Hochspringer, der die Latte tiefer hängt, um zu gewinnen!' In den USA zum Beispiel seien die Grenzwerte für kleinste Feinstaubpartikel schon jetzt höher als es die Kommission ab 2010 plane. Dass Umweltschützer die Vorschläge der EU-Kommission als zu mutlos kritisierten, die Kommunen hingegen als zu streng, spreche für deren Ausgewogenheit.
Dimas setzt darauf, dass die Europaabgeordneten bei der Plenarabstimmung über die neue Feinstaubrichtlinie im September anders als der Umweltausschuss doch noch seinen Kurs unterstützen. Und er hofft auf die Mitgliedstaaten. Am 26. Juni will sich der Umweltministerrat erstmals mit dem Thema befassen. Schon jetzt aber zeichne sich ab, berichtet ein EU-Diplomat, dass die Mehrheit der Länder den Vorschlag des Kommissars abschwächen wolle. Nur die Skandinavier seien dafür.