Verluste, schlechte Modell-Palette, Mittelmäßigkeit.Ein Architektenloft in der Nähe von London ist der Ort, an dem an diesem Vormittag die Zukunft von Jaguar zu bestaunen ist. Auf dem schneeweißen Kies in der Einfahrt steht der XF. Ein Auto, das Ende 2008 auf den Markt kommen und die britische Luxusmarke zurück in die Gewinnzone führen soll. Eine futuristisch anmutende Limousine mit der Formensprache eines Coupés. Polster, Türverkleidungen und Armaturenbrett sind mit dickem Leder überzogen. Schalter und Knöpfe schimmern in mattiertem Metall.Das erinnert an eine teure Stereoanlage und wirkt modern. „Das Auto wird gut bei unseren Kunden ankommen“, sagt Jaguar- Deutschland-Chef Jeffrey Scott und lässt den Blick über die gewölbte Motorhaube schweifen. Was nicht jeder Kunde weiß: Die Technik unter dem Blech kommt zum Teil aus dem Konzernbaukasten von Ford. Denn Jaguar, das ist die wohl edelste unter den Töchtern des US-Autoriesen.
Noch. Ford-Chef Alan Mulally sucht einen Käufer für die angeschlagene Nobelmarke. Und das, obwohl die Entwicklung des gerade fertiggestellten XF Hunderte Millionen Dollar verschlungen hat.
Doch Mulally hat kaum eine andere Wahl: Ford, der älteste amerikanische Autobauer, steht am Abgrund. Näher noch als die heimischen Konkurrenten General Motors und Chrysler. Mehr als zwölf Milliarden Dollar Verlust hat Ford 2006 gemacht. Im ersten Halbjahr brach der Fahrzeugabsatz gegenüber dem Vorjahr um weitere elf Prozent ein. Bis 2009, so rechnet die Ratingagentur Standard & Poor’s, wird das Unternehmen im Autogeschäft voraussichtlich weitere 17 Milliarden Dollar an Barem verbrennen.
Gelingt es Mulally nicht, den Absatz wieder anzukurbeln oder auf anderen Wegen frisches Geld in die Kasse zu spülen, blieben als letzter Ausweg Insolvenz und Gläubigerschutz. „Die Situation von Ford ist so dramatisch, weil der Konzern, um seine Kredite zu besichern, bereits nahezu alles verpfändet hat“, sagt Marc René Tonn, Autoanalyst bei M.M. Warburg. Fabriken, Werksgelände, sogar das blaue Ford-Logo sind bereits beliehen.
Der im Herbst 2006 an die Spitze berufene ehemalige Boeing-Chef Mulally versucht deshalb die Sanierung im Eiltempo. Die Zahl der in den USA Beschäftigten soll von rund 89.000 Ende 2006 bis Ende 2008 auf nur noch 55.000 bis 60.000 sinken. Insgesamt sollen bis zu 16 Werke geschlossen werden. Mulally fegt außerdem mit eisernem Besen durch die verkrusteten Hierarchien. Bringt seinen Managern bei, stärker auf die Kunden zu hören.
Und stellt Tochtergesellschaften auf den Prüfstand und erwägt in vielen Fällen deren Verkauf. Das Motto des Neuen ist klar: Alle Anstrengungen für das blaue Oval, das Ford-Emblem, das die Fahrzeuge der Kernmarke seit Jahrzehnten ziert.
Deshalb steht neben Jaguar auch die Geländewagenmarke Land Rover zum Verkauf. Selbst die schwedische Tochter Volvo ist, wie Konzerninsider berichten, nicht mehr sicher, auch wenn ein Verkauf intern stark umstritten ist und Ford bisher alle derartigen Absichten dementiert.
Mulally filetiert den Konzern, um ihn zu retten. Doch selbst das erweist sich als kein leichtes Unterfangen. Bislang rennen potenzielle Käufer Mulally nicht gerade die Tür ein. Der italienische Fiat-Konzern, dem die Amerikaner Land Rover und Jaguar angeboten haben sollen, hat abgewinkt. Als weitere mögliche Interessenten werden Renault Nissan und der südkoreanische Autobauer Hyundai gehandelt. Auch der indische Tata-Konzern soll Interesse haben. Wie ernst das Interesse ist, ist aber bislang unklar.
Die Finanzinvestoren dagegen – die dringend nach Anlagemöglichkeiten für die in ihren Fonds gebunkerten Milliarden suchen – scheinen derzeit mutig genug, sich eines Autoherstellers anzunehmen. So hat es jüngst Cerberus vorgemacht, der Daimler die kriselnde US-Tochter Chrysler abnahm. „Falls Jaguar verkauft wird, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Private-Equity-Lösung sein“, sagt ein Konzerninsider. Interessenten soll es bereits geben. Im März hatte Ford den Sportwagenhersteller Aston Martin für 848 Millionen Dollar an ein Konsortium aus britischen und arabischen Investoren verkauft.
Jaguar dagegen dürfte wohl nur im Verbund mit Land Rover verkäuflich sein. Die Fahrzeuge teilen sich teure technische Komponenten wie Motoren. Zudem ist das Vertriebs- und Servicenetz der beiden Marken eng miteinander verwoben.
Vorbild für einen möglichen Jaguar/Land-Rover-Deal könnte der Verkauf von Chrysler sein. Daimler hat knapp 20 Prozent an der Tochter behalten und will technische Kooperationen und bestehende Lieferantenbeziehungen fortführen. Auch Ford erwägt, wie aus dem Konzern zu erfahren ist, eine Minderheitsbeteiligung an den Unternehmen zu behalten und seinen Einfluss nicht vollständig aufzugeben.
Als mögliche Käufer gehandelt werden bisher Cerberus, die vom ehemaligen VW- und Chrysler-Manager Wolfgang Bernhard beraten werden, und One Equity Partners, auf deren Gehaltszettel Ex-Ford-Chef Jacques Nasser steht. Doch auch Blackstone sucht intensiv nach Zielen in der Autobranche.
Einen Käufer für Volvo zu finden, könnte dennoch schwierig werden. Zwar gilt die schwedische Automarke als attraktiver Hersteller am unteren Ende des sogenannten Premiumsegments, in dem auch BMW und Mercedes zu Hause sind. Anders als Jaguar ist die Marke sogar profitabel, doch mit einem Kaufpreis von geschätzten acht Milliarden Dollar auch kein Schnäppchen. Zudem stößt Mulallys Idee, sich auch von Volvo zu trennen, im Vorstand nicht nur auf Freunde.
Mit den zu erwartenden Einnahmen will Mulally sich und dem Konzern vor allem Zeit verschaffen. „Im Augenblick hat Ford relativ viel Liquidität“, sagt Robert Schulz, Chef des Automotive-Teams bei der US-Ratingagentur Standard & Poor’s. „Aber das Unternehmen verbrennt auch sehr viel Geld, sodass es schwierig ist, weiter als ein bis eineinhalb Jahre in die Zukunft zu schauen.“
Will Mulally das Ruder dauerhaft herumreißen, reicht es nicht, Kosten zu sparen. Er muss neue Modelle entwickeln lassen, um den Verlust von Marktanteilen in den USA zu bremsen. „Ein Problem von Ford ist, dass der Marktanteil schneller gesunken ist, als die Kosten“, sagt Schulz. Während Ford im Juni acht Prozent weniger Autos als im Vorjahr verkaufte – wenn auch zum Teil durch gezielt verringerte Mietwagenzulassungen bedingt – freuten sich die Japaner über Zuwächse zwischen 10 (Toyota) und 23 Prozent (Nissan).
Wie Chrysler und General Motors hat Ford darüber hinaus das Problem, einen Großteil seines Geschäfts mit schweren Geländewagen zu machen, in den USA Light Trucks genannt. Der Offroader F150 ist das meistverkaufte Auto in den USA. Doch die Verkäufe gehen zurück, weil die allgemeine Nachfrage nach solchen Fahrzeugen gesunken ist. Zudem machen sich japanische Wettbewerber in dem von Ford, GM und Chrysler dominierten Segment breit.
Für die US-Hersteller ist das doppelt bitter. Denn die Light Trucks verfügen meist über primitive Technik, werden aber vergleichsweise teuer verkauft, was in der Vergangenheit zu erfreulich hohen Margen führte. Bei den kleineren Fahrzeugen ist die Gewinnspanne in der Regel deutlich kleiner. Ford hat sich deshalb verleiten lassen, „noch immer zu sehr auf die schweren Fahrzeuge zu setzen“, stellt Armin Landgraf fest, Autoexperte bei der Unternehmensberatung A.T. Kearney.
In anderen Segmenten steht die Marke aus Sicht der Experten weitgehend ohne eigenes Profil da. „Ford hat sich in den vergangenen Jahren weder durch innovative Fahrzeugkonzepte noch durch herausragend umweltfreundliche Antriebstechnik hervorgetan“, sagt Berater Landgraf. Zwar haben die Amerikaner mit dem Geländewagen Escape seit 2004 ein Hybrid-Fahrzeug mit kombiniertem Elektro- und Verbrennungsmotor auf dem Markt. Doch das Image des umweltfreundlichen Herstellers hat längst Toyota mit seinem Hybriden Prius besetzt.
Die fehlende Konsistenz in der Modellstrategie führt dazu, dass die Kunden auf dem Heimatmarkt sich nicht mehr sonderlich mit der Marke identifizieren. „Bei Volkswagen in Deutschland kann man relativ präzise sagen, wo der natürliche Marktanteil der Marke liegt: wenn das Management keine größeren Fehler macht, bei über 20 Prozent“, sagt Christoph Stürmer, Analyst beim Beratungsunternehmen Global Insight, „Bei Ford in den USA muss man dagegen fragen: Hat Ford überhaupt noch einen natürlichen Marktanteil?“
Mulally scheint sich der Problematik bewusst zu sein und will seine Manager dazu bewegen, stärker auf die Bedürfnisse der Kunden zu hören. Doch das erweist sich in der erstarrten Ford-Kultur als schwierig. „Bei Ford in den USA herrschte über viele Jahre die Einstellung vor, dass man den Kunden die Produkte nur richtig erklären müsste, anstatt die Kundenwünsche stärker in Produkte umzusetzen“, sagt Gregor Matthies, Partner bei der Beratung Bain & Company. „Für Kunden wichtige Innovationen wurden dadurch verschlafen.“
Deshalb führte Mulally im Februar einige seiner leitenden Ingenieure mit den Redakteuren eines US-Verbrauchermagazins zusammen. Diese sollten aus ihrer Sicht die Stärken und vor allem Schwächen der aktuellen Ford-Modelle schildern. Doch anstatt zuzuhören, verteidigten sich die Ingenieure und versuchten den Produkttestern klarzumachen, warum sich nichts ändern müsse.
Mulally erwarte von allen ein „Management by Commitment“, sagt ein Ford-Manager. Die Leute sollten gemeinsam Ziele erarbeiten und dafür geradestehen, wenn diese nicht erreicht werden. Doch am Ende gelte häufig ein anderes Motto: „Jeder rette sich selbst!“ Mittelmäßigkeit, so hat es den Anschein, ist im Ford-Reich ein allgemein akzeptierter Zustand. Veränderungen werden nur eingeleitet, wenn es gar nicht mehr anders geht.
Das gilt auch für die überbordende technische Vielfalt. So gibt es immer noch mehr als 30 verschiedene Plattformen für Fahrzeuge, während die Konkurrenten zum Teil bei weniger als einem Drittel davon angekommen sind. Mulally drückt deshalb aufs Tempo: Aus den monatlichen Meetings der Spartenchefs wurden wöchentliche. Befördert wird nur noch nach Leistung und nicht nach Dienstjahren.
Wären es nur starrköpfige Manager, mit denen sich Mulally herumschlagen müsste, sein Job wäre schon schwer genug. Doch in wenigen Wochen erwartet ihn die nächste Feuerprobe: die Tarifverhandlungen mit der US-Autogewerkschaft UAW. Vor zwei Jahren hatte sie GM und Ford Zugeständnisse bei den Kosten für Gesundheits- und Pensionsleistungen gemacht. Daher rechnen Beobachter in dieser Verhandlungsrunde kaum mit Entgegenkommen. Wie hart die UAW im Umgang mit Konzernen sein kann, zeigt der Fall Chrysler. Jahrelang hatte die UAW dem Hersteller die gleichen Zugeständnisse wie Ford und GM verweigert mit der Begründung, die Konzernschwester Mercedes verdiene genug Geld. Bis die Stuttgarter Chrysler schließlich verkauften.
Dagegen scheinen die Probleme, die Ford derzeit in Europa hat, geradezu harmlos. Zwar hat die europäische Tochter auch am hiesigen Markt kräftig zu kämpfen. Im ersten Halbjahr sank der Absatz in Deutschland um 17 Prozent. Aber wenigstens sind die Werke aus Sicht von Branchenexperten schlank und wettbewerbsfähig, ist das Modellprogramm sauber sortiert. „Ein Fahrzeug wie der neue Mondeo wird am Markt auch von der Konkurrenz als ernsthafter Wettbewerber wahrgenommen“, sagt Berater Landgraf.
Und die Europäer sind auch deutlich schneller darin, wachsende und junge Segmente mit den passenden Fahrzeugen zu bestücken. So bringt die europäische Ford-Division im kommenden Jahr einen kleinen, sportlichen Geländewagen mit Coupéoptik auf den Markt. Als klugen Schachzug beurteilen die Experten auch die Kooperation mit dem italienischen Autobauer Fiat.
Ab 2008 laufen im polnischen Fiat-Werk der neue Fiat Cinquecento und die zweite Generation des Ford Ka als Plattformbrüder vom Band. „Ford USA kann in vielerlei Hinsicht von Europa lernen“, sagt Bain-Berater Matthies. „Wenn man in den USA aufholen möchte, sollte man das Know-how über die Entwicklung kostengünstiger und spritsparender Pkws aus Köln und Dunton importieren.“
Wenn es derzeit eine Gefahr für die deutschen Standorte gibt, dann könnte die eher aus dem Konzern selbst und aus einer anderen Ecke Europas drohen. Ford ist der letzte verbleibende Bieter für das ehemalige Daewoo-Werk im rumänischen Ort Craoiva. Das Auto, das dort aller Voraussicht nach in großer Stückzahl gebaut werden würde, läuft auch in Köln vom Band: der Fiesta.
Dort sieht man die potenzielle Bedrohung aber derzeit gelassen. Ein Sprecher: „Unsere Werke laufen fast alle an der Kapazitätsgrenze. Wir können die Extra-Kapazität also noch gut gebrauchen.“
Quelle: WirtschaftsWoche 30/2007.