Aus Gaydon berichtet Tom GrünwegModerne Entwickler nutzen Koffer voller Messelektronik, um neue Autos abzustimmen. Norman Dewis hingegen hatte nur seine fünf Sinne: Als er Testchef bei Jaguar wurde, war der Computer noch gar nicht erfunden. Auf SPIEGEL ONLINE erinnert sich der Veteran an Crashs und coole Zeiten.Sein Leben spielte sich vornehmlich im Cockpit ab. Der Brite Norman Dewis arbeitete 33 Jahre als Testfahrer bei Jaguar und spulte mehr als eine Million Testkilometer ab, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit jenseits der 150 km/h. Er war in Dutzende Unfälle verwickelt - und obwohl es damals nicht einmal Sicherheitsgurte gab, brach Dewis sich nie einen Knochen. "Ich hatte einfach großes Glück", sagt der heute fast 90-jährige PS-Pionier, der sich selbst im hohen Rentenalter noch hinters Steuer kraftvoller Klassiker zwängt.
In den Jahren bei Jaguar gingen Hunderte Entwicklungsmodelle durch seine Hände. Er war der verantwortliche Testfahrer für die Modellereihen C-Type, D-Type und den legendären E-Type, er hat die Limousine XJ mit auf den Weg gebracht, er war auch Rennfahrer. Er fuhr 1952 mit Stirling Moss die Mille Miglia, war 1955 mit einem D-Type bei den 24 Stunden von Le Mans am Start und kurvte mit einem XK 120 sogar ins Guinness-Buch der Rekorde: 227,5 km/h schaffte damals kein anderer.
"Ich musste vielseitig sein, denn ich war damals der einzige Fahrer", sagt Dewis. "Daher war ich werktags auf der Test- und am Wochenende auf der Rennstrecke."
Trotzdem war Dewis' Berufsleben fast schon beschaulich, verglichen mit dem seiner Nachfolger. Der der derzeitige Jaguar-Testchef Mike Cross etwa ist längst ein Globetrotter im Dienste der Autoindustrie. Er bewegt die Prototypen mal in Schweden, mal in Dubai, dann in Südafrika, Japan oder im heißen Süden der USA. Dewis dagegen hatte einen relativ bescheidenen Aktionsradius. "Die Teststrecken waren die Straßen rund um die Fabrik", erinnert sich der Rentner. "Dann gab es noch das gemeinsame Prüfgelände aller britischen Autohersteller in Mira."
Hitzetests wurden damals auf Landstraßen im Süden Italiens gemacht; für die Wintererprobung wartete man einfach auf Schnee. Immerhin waren Dewis und seine Kollegen eine der ersten Gästegruppen auf dem Hochgeschwindigkeitsoval im italienischen Nardo. Und irgendwann stand auch mal eine Tour nach Norwegen auf dem Testprogramm.
"Das klingt vielleicht betulich, das war es aber nicht", sagt Dewis. "Es gab haufenweise Arbeit und keine Gewerkschaft." Wenn es knapp wurde, lief der Testbetrieb sieben Tage die Woche rund um die Uhr - und das mit nur einer Handvoll Mitarbeiter. Termindruck herrschte praktisch immer, denn der damalige Jaguar-Chef William Lyons war nicht eben für seine Geduld berühmt. Dewis: "Alles musste schnell gehen und billig sein. Oft kam Lyons zu uns und fragte, wie lang die Arbeit noch dauern werde und wer das alles bezahlen solle."
Im Stau mit dem Prototypen - früher war das undenkbarMöglicherweise führt der jetzige Testchef Cross unter dem Strich sogar ein ruhigeres Berufsleben. "Mag sein", sagt er dazu, "dafür hatte Norman die freieren Straßen."
Selbst rund um den Nürburgring steht Cross mit den Prototypen immer öfter im Stau. Und auf der Stammautobahn des Profi-Fahrers zwischen Koblenz und Trier gibt es immer mehr Tempolimits.
Wie viel Glück Dewis in seiner Karriere hatte, wird an einem Beispiel deutlich. 1971, das Modell XJ 13 wurde gerade entwickelt, fuhr er mit mehr als 200 km/h durch eine Steilkurve, als das Hinterrad aus Magnesium brach. Wie oft sich das Auto überschlug, weiß Dewis nicht mehr. "So etwas passiert eben", sagt er mit einem Schulterzucken. Damals stieg er mit einigen blauen Flecken und ein paar Prellungen aus. "Aber am Tag danach war ich wieder bei der Arbeit."
Von der Bedeutung des PopometersGegenüber derlei Anekdoten von Norman Dewis sind die Berichte aus dem Berufsleben von Mike Cross so spannend wie eine Steuererklärung. "Die Arbeit hat sich gründlich verändert", sagt der Jaguar-Testfahrer, während er einen XKR mit ruhiger Hand bei Vollgas über die hauseigene Teststrecke lenkt. "Wir sind viel früher in die Entstehung eines neuen Modells eingebunden, stehen im ständigen Dialog mit den Ingenieuren und können schon bei der Konstruktion Einfluss auf das Fahrverhalten nehmen." Dafür allerdings ist der Spielraum beim fertigen Fahrzeug geringer. "Dort überprüfen wir vor allem, ob die Simulationen der Realität standhalten, und beschränken uns auf Feintuning."
Dafür gibt es heutzutage ein immenses Instrumentarium. Daher steckt der Kofferraum der Prototypen oft bis zum Deckel voll mit Sonden, Sensoren und Computern, die jedes noch so kleine Detail messen und bewerten.
"Wir hatten damals eine Stoppuhr und drei oder vier Instrumente, mit denen wir zum Beispiel den Bremsdruck erfassen konnten", sagt Dewis. "Den Rest haben wir mit dem Popometer erledigt." Cross legt Wert auf die Feststellung, dass das mit dem Begriff umschriebene subjektive Fahrgefühl durch Nichts zu ersetzen ist. "Ohne Popometer geht auch heute nix".
Quelle:
http://www.spiegel.de/auto/aktuell/0,1518,641815,00.html