Heute Titelstory im Handelsblatt:
Ford verliert die Geduld mit Jaguar
Konzernchef engagiert Investmentbanker als Berater und stellt alle Töchter auf den Prüfstand
FRANKFURT. Ein dramatischer Absatzrückgang zwingt Ford-Chef Bill Ford zu einem radikalen Konzernumbau. Dabei gibt es für den Autohersteller nun offenbar keine Tabus mehr: Als Berater hat der Konzernchef den ehemaligen Investmentbanker Kenneth Leet engagiert, einen Experten für Unternehmensverkäufe. Er soll nach Medienberichten als Erstes die britische Luxusmarke Jaguar auf den Prüfstand stellen. Ein Ford-Sprecher wollte auf Nachfrage keinen Kommentar abgeben. Die Ford-Aktie reagierte mit einem Kurssprung von mehr als vier Prozent auf die Nachricht.
Wie das „Wall Street Journal" und amerikanische Nachrichtenagenturen übereinstimmend berichten, soll der neue Ford-Berater Leet mit einem kleinen Team sämtliche Unternehmensbereiche unter die Lupe nehmen, ob ein Verkauf sinnvoll und möglich wäre. Auch eine Allianz mit einem anderen Autohersteller soll geprüft werden. Leet hatte zuletzt bei der Investmentbank Golduran Sachs Fusions- und Übernahmeteams geführt.
Bisher galt Marktführer General Motors als finanziell angeschlagenster Konzern der Branche. Doch nach deutlichen Sanierungserfolgen hat GM jetzt die rote Laterne an Ford abgegeben. Ratingagenturen wie Standard & Poor's stufen Ford bereits unter „Schrottstatus" ein, die Marktkapitalisierung ist innerhalb eines Jahres um fast sieben auf knapp elf Mrd. Dollar abgestürzt. Im zweiten Quartal kam nun noch ein dreistelliger Millionenverlust dazu. Zur Disposition könnte angesichts dieser Zahlen sogar die rentable Ford-Finanztochter stehen, was Ford bislang dementiert hat. Konkurrent GM hat es'vorgemacht: Er hat die Mehrheit seiner Finanzaktivitäten für 14 Mrd. Dollar an ein Finanzkonsortium verkauft. „Ich bin nicht geduldig", hat Bill Ford schon vor zwei Wochen gesagt und ergänzte viel sagend, man halte sich alle Optionen offen - und zwar für alle Sparten. „Die Verpflichtung von Leet überrascht mich nicht", sagte David Cole, Chef des Center for Automotive Research. „Ford steckt in einer schwierigen Lage und kann es sich nicht mehr leisten, über bestimmte Themen nicht zu reden." Nach seiner Einschätzung sind von den ausländischen Konzernmarken nur Volvo und Mazda so eng in den Ford-Betrieb integriert, dass eine Abspaltungunwahrscheinlich ist. „Alle übrigen stehen auf dem Prüfstand", urteilt Cole.
Schon im vergangenen Jahr hatte es Gerüchte gegeben, dass der französische Hersteller Renault sich für eine Übernahme von Jaguar interessiert. Damals war dies noch heftig dementiert worden. Jetzt wollen Ford-Sprecher die neuerlichen Verkaufsspekulationen nicht mal mehr kommentieren. Als mögliche Käufer für die Luxusmarke gelten in Branchenkreisen nicht nur Finanzinvestoren. Auch chinesische Autohersteller stehen bereit. In Frage kommen die Nanjing Automobile Corporation, die schon die britische MG-RoverGruppe aus der Insolvenz heraus erworben hat. Auch der Shanghai Automotive Industry Corporation, Partner von VW und GM in China, wird nachgesagt, für den geplanten Einstieg auf Auslandsmärkten an etablierten Marken mit ausgereifter Technik interessiert zu sein.
Für Ford entpuppte sich die Übernahme von Jaguar im Jahr 1989 als finanzielles Fiasko. Neben dem hohen Kaufpreis von 2,6 Mrd. Dollar hat der zweitgrößte US-Hersteller Investitionen in Milliardenhöhe in Jaguar gesteckt. Dennoch ist es nicht gelungen, Jaguar in die Gewinnzone zu führen. Nach Schätzungen von Analysten hat Ford das Jaguar-Abenteuer bislang mehr als sechs Mrd. Dollar gekostet.
Geplant hatte Bill Ford etwas ganz anderes: Die Ford-Luxussparte Premier Automotive Group, zu der neben Jaguar auch Volvo, Land Rover und Aston Martin gehören, sollte im laufenden Jahr bereits die Hälfte des versprochenen Frord-Gewinns von sieben Mrd. Dollar liefern. Tatsächlich schreibt die Luxussparte Verluste in Höhe von 162 Mill. Dollar. Und riesige Verluste auf dem US-Automarkt drückten den gesamten Ford-Konzern im zweiten Quartal überraschend in die roten Zahlen.
Bislang hatte Ford auf die anhaltend hohen Verluste im Heimatmarkt mit den klassischen Sanierungsmaßnahmen reagiert: Arbeitsplatzabbau und Fabrikschließungen. Bill Ford hatte bis 2012 die Schließung von 14 Fabriken und den Abbau von 30 000 Stellen angekündigt. Nach den von Analysten als „trostlos" bezeichneten Zahlen für das zweite Quartal musste der Urenkel des Ford-Gründers bereits einräumen, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen.
Das Fass zum Überlaufen brächten nun die jüngsten Marktzahlen in den USA. Erstmals verdrängte im Juli der japanische Konkurrent Toyota Ford im Heimatmarkt USA vom zweiten Platz. Schon im ersten Halbjahr war der Marktanteil von Ford um 0,4 Prozentpunkte auf nur noch 17,1 gefallen: Im Juli dann brach der Absatz in den USA erneut um ein Drittel ein, doppelt so stark wie der Marktdurchschnitt. Toyota dagegen schaffte in einem schrumpfenden Markt ein Absatzplus von 16 Prozent. hof/je